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Zitiervorschlag

In: Ingeborg Becker-Textor: Kindergarten 2010. Traum - Vision - Realität. Freiburg, Basel, Wien: Herder, 3. Aufl. 1995, S. 97-104

Visionen - Träume

Ingeborg Becker-Textor

 

Sind Begriffe wie Erscheinungsbild, träumerisch, versonnen, gedankenverloren (siehe Duden Herkunftswörterbuch) wirklich Begriffe, die wir mit der Weiterentwicklung der Kinderbetreuungsangebote in Verbindung bringen dürfen? Ich meine: Ja. Denn es bietet uns die Chance, uns wenigstens für kurze Augenblicke loszulösen von der Realität, von allen Einschränkungen. Es ist ähnlich wie bei der Kreativ-Methode des Brainstorming. In der ersten Phase dürfen alle Ideen ausgesprochen werden. Nichts ist falsch oder richtig. Später wird dann sortiert und auf Brauchbarkeit überprüft. Genau das brauchen wir für den neuen Kindergarten. Wir müssen Träume, Visionen haben, uns überlegen, wie er sein könnte...

Prozesse

"Fortgang, Verlauf, Ablauf, Hergang, Entwicklung... aus lateinisch processus, 'Fortschreiben'..." (Duden Herkunftswörterbuch).

Visionen und Träume können, sollen und müssen Prozesse auslösen, wenn wir sie zulassen. Wir beginnen nachzudenken, schreiten fort von unseren Standpunkten. Das heißt, dass uns neugewonnene Standpunkte ermöglichen, unsere bisherigen Ansichten auch aus der Distanz zu betrachten, in anderem Licht, in anderem Schatten. Im Prozess bleiben heißt aber auch, aktuell bleiben, und das wiederum ist gefordert, wenn wir dem Anspruch, auf die Bedürfnisse der Kinder und Familien zu reagieren, entsprechen wollen.

Prozesshaftigkeit heißt auch Dynamik, nicht aufgeben, wenn ein kleines oder größeres Ziel erreicht ist. Verschnaufpause. Weiter. Unser Leben verändert sich ständig, und warum ist es dann vermessen, wenn wir auch unsere Kindergärten verändern?

Ein Kurzbericht einer Kindergartenleiterin: "Endlich kann ich wieder so richtig durchatmen, es war ein langer Prozess. Was? Bis ich meinen Kindergarten so in Schuss hatte. Aber ich merke schon, es muss noch weitergehen. Ich habe soviel gelernt. Acht Jahre habe ich gebraucht. Bis erst mal alles in Gang gekommen ist! Am Anfang hätte ich jedoch manchmal am liebsten aufgegeben, wenn wieder ein Rückschlag kam. Einmal kam jemand vom Jugendamt und erklärte mir, dass es nicht ginge, dass ich Mittags bis 12.00, 12.30 Uhr fünf Erstklässler hereinlasse. Die haben mir Angst gemacht. Ich habe dann meine Haftpflicht erhöht. Mein Träger wollte mir die Betreuung dieser Kinder dann auch ausreden... Bis die Angst wieder von mir weg war! Dann besuchte mich der Verbandsfachberater kurz darauf mit der 'Spitze' des Verbandes. Ich musste erklären, warum ich alles anders als andere machen würde. Richtig bockbeinig habe ich reagiert und gefragt, warum sie nicht besser fragen, was ich mache, wie es meinen Kindern, Eltern, Mitarbeitern und mir geht. Ganz verlegen reagierte der Pfarrer und meinte, dass er keinerlei Beschwerden über den Kindergarten hören würde. Alle würden den Kindergarten loben (hätte er mir auch schon mal vorher sagen können), und der Zustrom sei so groß, dass wir jetzt doch überlegen müssten, ob wir nicht vorrangig die Kinder aus dem Gemeindesprengel aufnehmen sollten. Ich wurde weiter befragt, und es wurde mir erklärt, dass es unmöglich sei, dass ich das alles gar nicht schaffen könne! In mir stieg die Wut auf, und ich sagte, dass sie ruhig alle hier bleiben könnten. Eine Hospitation von mehreren Tagen würde ihnen sicher nicht schaden. So nach und nach kam es dann. Eltern hatten in anderen Kindergärten schon gefragt, warum dort nicht auch nach unserer Art gearbeitet würde. Aber, das könnte man den Erziehern nicht zumuten. Es läge an meinem Engagement, und ich hätte Glück mit meinen Mitarbeitern... Wenn ich das jetzt so niederschreibe, packt mich noch immer die Wut! Da wurde mir fast richtig eingeredet, dass der alte Kindergarten schon immer gut gewesen sei, gut ist und auch in Zukunft gut bleiben wird. Mir ist es egal. Wir machen weiter. Mittlerweile haben wir unser Konzept total verändert. Übrigens lernen unsere Kinder nicht weniger! Die Schule lobt das ausgezeichnete Sozialverhalten, die Konzentration und Ausdauer unserer Kinder. Ein Lehrer meinte, dass es komisch sei, die Kinder hätten doch so viel Freiräume und würden trotzdem so toll arbeiten. Vor kurzem hat man mir eine Stelle als Fachberaterin angeboten. Ich habe abgelehnt. Ich bleibe bei meinen Kindern. Wir machen weiter. Allerdings tun sich Praktikanten ganz schön schwer bei uns. Wenn sie mit ihren leicht überholten Beschäftigungsaufgaben kommen und gar nicht bereit sind, sich mit unserem Konzept zu beschäftigen. Aber etwas bleibt trotzdem hängen. Sie arbeiten später fast in der gleichen Art. Also, für mich gibt es kein Zurück mehr. Vor einem neuen Kindergarten 2010 fürchte ich mich nicht, auch nicht vor neuen Aufgaben. Das meiste haben wir schon erreicht. Ich denke, wir sind dem aktuellen Kindergarten schon weit voraus" (K.S., 49 Jahre, seit 19 Jahren Leiterin, wollte vor acht Jahren aussteigen, arbeitet jetzt mit Begeisterung weiter. Ich versuche, sie für Fortbildungen zu gewinnen, nicht um Rezepte zu verteilen, sondern ihren prozesshaften Weg - negativ und positiv - zu beschreiben).

Der Weg der kleinen Schritte

Das Beispiel zeigt eigentlich schon, dass wir den Weg der kleinen Schritte gehen müssen, wenn wir niemanden überfordern wollen - vor allem nicht die Kinder. Es ist wie mit dem Beispiel des offenen Kindergartens. Es reicht eben nicht, wenn alle Türen offen stehen und die Kinder Zutritt in alle Räume haben. Dies führt unwiderruflich zum Chaos. Beobachten, Nachdenken, Träumen, langsam kleine Schritte gehen - nur so groß, wie es unser Mut, Schwung und Selbstvertrauen zulässt. Dann Zurückschauen, Reflektieren. Das macht Mut für den nächsten kleinen Schritt. Auch so kommt man vorwärts, beharrlich, man verliert nicht den Atem. Bei Fortbildungen schlägt mir immer wieder die Aussage entgegen: "Das geht ja sowieso nicht!" Wer so denkt, der wird nicht weiterkommen, auch keine kleinen Schritte.

Wir können jeden Tag nur die Tagesetappe erreichen. Am nächsten Tag geht es weiter - dies gilt auch für pädagogische Entwicklungen, für Angebote, die Kindern gemacht werden.

Ein fünfjähriges Kind: "Unser Kindergarten ist doof. Jedes Jahr ist total gleich. Alle Lieder, alles was wir basteln, alle Bilderbücher. Unsere Erzieherin hat einen dicken Ordner mit Blättern. Da holt sie raus, was sie mit uns macht. Heute war das Lied vom Igel dran und ein Bild. Ich kenne das alles schon auswendig." Kein Kommentar.

Erfolge und Rückschläge auf dem Weg zum Sieg - Interviews

K., Erzieherin: "Ich war nach der Ausbildung voller Ideen. Dann kam meine erste Stelle im Kindergarten. Da ich am Ort bleiben wollte, hatte ich keine große Auswahl. Ja und dann stand ich da, mit 27 Kindern und einer Vorpraktikantin, acht Stunden Öffnungszeit. Alle meine Vorstellungen zerplatzten wie Seifenblasen. Nach zwei Wochen schon wollte ich aussteigen. Eines Morgens kam eine Mutter zu mir und sagte, dass sie sehr froh sei, dass ich hier arbeiten würde, und dass ihr Kind und sie selbst sich wohlfühlen würden. Ich hatte plötzlich das Gefühl, als käme ein warmer Regen über mich. Ich dachte an diesem Tag noch oft an diese Aussage. Irgendwie begann ich die Kinder anders zu sehen. Jedes einzelne Kind war mir plötzlich viel wichtiger als mein ausgeklügeltes Programm. An diesem Abend fühlte ich mich richtig entspannt. 'Meine Kinder' wurden in den nächsten Tagen viel ruhiger - bildete ich mir ein. Heute weiß ich, dass es an mir lag... Übrigens, diese Mutter gründete ein Jahr später in unserem Kindergarten einen Müttertreff, wenig später einen Oma-Hilfsdienst. Heute - sieben Jahre später - arbeite ich noch immer im Kindergarten. Ich bin zufrieden, allerdings nehme ich ganz andere Dinge wichtig als damals. Rückschläge habe ich auch erlitten, ich werte sie heute als Besinnungsmomente. Manchmal bin ich auch zu forsch an Dinge herangegangen, und ganz besonders toll ist die Mitarbeit der Eltern. Ihre Mitwirkung im Kindergarten wirkt sich auch sehr positiv auf das Erziehungsverhalten in der Familie aus."

R.U., Mutter von drei Kindern: "Karla geht in den Kindergarten, die Zwillinge sind ein halbes Jahr alt. War ich froh, dass Karla einen Kindergartenplatz hatte, bevor die Zwillinge geboren wurden. Ich kannte niemanden in unserem Neubaugebiet. Die Erzieherin sprach mich eines Tages an, ob ich nicht an einer Mütterselbsthilfe Interesse hätte. Ich hatte keine Vorstellung. Sie lud mich am Nachmittag zu einer Müttergruppe ein. Dann erklärte sie, dass sie gerne ein Hilfs-Dienste-Netz der Eltern untereinander aufbauen möchte, dass ich ja wohl auch bald Hilfe bräuchte, wenn die Babys geboren seien. Eine Mutter erklärte sich bereit, die Koordination zu übernehmen. Einmal pro Monat trafen wir uns unter der 'Leitung' der Erzieherin. Als ich ganz plötzlich in die Klinik musste, war Karla in der vorher anonymen Nachbarschaft versorgt. Heute kann ich mich revanchieren und biete zweimal in der Woche die Betreuung für ein Baby an. Dann krabbeln drei Kinder im Kinderzimmer herum. Karla wird von einer Mutter mit in den Kindergarten genommen. Eine Psychologin, zur Zeit im Erziehungsurlaub, bot sich an, unsere Beratung in Erziehungsfragen zu übernehmen. Im nächsten Monat werden wir unser Nachbarschaftshilfevermittlungszentrum eröffnen. Nein, kein eigenes Gebäude! Die Leiterin des Kindergartens stellt uns an drei Tagen für jeweils drei Stunden ihr Büro und Telefon zur Verfügung. Babysitter, Vermittlung der Pflege kranker Kinder, Hausaufgabenbetreuung usw. sind kein Problem mehr. Das Jugendamt sagt, dass wir es ganz schön entlasten würden, und gibt uns einen Zuschuss von 1.000 DM im Monat für die laufenden Kosten unseres Nachbarschaftshilfevermittlungszentrums. Ein schreckliches Wort - aber es steckt eben alles drin!"

Eine solche Initiative wird es beim Kindergarten 2010 wohl in jeder Einrichtung geben, ganz selbstverständlich.

Zwei Interviews/ Berichte. Ich meine, dass sie überzeugen. Erzieher werden dadurch nicht überfordert oder überlastet und müssen nicht mehr tun als bisher. Es geht ihnen besser. Sie können selbst diesen Vermittlungsdienst in Anspruch nehmen und so die Betreuung eines fiebrigen Kindes vermitteln, das sonst vielleicht in der Gruppe säße. Rückschläge wird es auch da gehen. Viele Mütter/ Väter brauchen eine lange Anlaufzeit, bis sie bereit sind, sich derartig zu engagieren.

Ankommen wird man nie...

Nein, ich will Sie mit der Aussage nicht entmutigen, sondern vielmehr ermutigen zum Weitermachen. Der Weg zu einem gesteckten Ziel ist gleichzeitig die Vorbereitung auf Neues, wird geprägt von Prozesshaftigkeit und Lebendigkeit. Schließlich erreicht man das einstweilige Ziel, blickt zurück, freut sich über den erreichten Erfolg.

Der Blick nach vorne ist aber auch spannend. Neue Sichtweisen tun sich auf, motivieren zum Weitermachen, halten uns in Schwung und locken uns zu neuen Schritten. Wie Menschen lebendige Wesen sind, die sich von Tag zu Tag weiterentwickeln, so muss auch die Pädagogik im Fluss bleiben, will sie mit den Bedürfnissen von Kindern und Familien Schritt halten. So lebt es sich gut mit dem Wissen, dass man nie ganz ankommen wird, dass es immer etwas gibt, das anzustreben sich lohnt. So ist der Erzieher mit dem Abschluss seiner Ausbildung auch nicht ein fertiger Erzieher. Er hat breites Basiswissen erworben, das es nun gilt für die pädagogische Arbeit - in unserem Falle für die Arbeit in einem neuen Kindergarten - zu verdichten, stets zu aktualisieren und auf Bedürfnisse der Kinder auszurichten. Der Erzieherberuf wird dadurch nie langweilig, bleibt immer spannend und aufregend, wenn man sich auf Veränderungen einlässt.

Ob solches Gedankengut vielleicht im Bereich "Persönlichkeitsbildung" Eingang in die Erzieherausbildung, vor allem aber auch in die Fortbildung finden kann?

Fernziel: Der neue Kindergarten

Wie soll er heißen? Haus für Kinder und Familien oder gar Sozialzentrum? Wie wird die räumliche Gestaltung aussehen? Wie wird die Finanzierung sein? Welche Personalsituation wird die Qualität sichern? Viele offene Fragen.

So könnte es sein...

Eine Bedarfsanalyse im Stadtteil hat ergeben, dass nachfolgend aufgezählte Angebote notwendig wären: Krippe, Tagespflege, Kindergarten, Hort, Hausaufgabenhilfe, Angebote für Alleinerziehende, offener Treff für behinderte Kinder, Altenklub, Babysitterdienst, Einkaufsdienst für ältere Menschen, Hauspflege kranker Kinder, Beratung in Erziehungs- und Lebensfragen, Tagespflege für ältere Menschen usw.

Was gibt es schon im Stadtteil? Eine Krippe, einen Kindergarten - aber längst zu klein -, Alleinerziehendentreff im Dachgeschoss des Gemeindehauses - ohne Raum für Kinder -, ambulante Dienste, Seniorentreff einmal im Monat im Gemeinderaum (Diavorträge, Kaffeerunde), Jugendzentrum.

Wie sollen all die Angebote, die notwendig wären, geschaffen werden? Die verantwortlichen Entscheidungsträger schrecken zurück, wenn sie all die Kosten für die Vielzahl dieser Dienste aufaddieren. Trotzdem, sie sollten es tun, denn alles dient dem Gemeinwesen, wäre notwendig, damit Vorsorge getroffen wird für das Wohl von Kindern, Familien, alten Menschen.

Es wäre natürlich wirklich eine Überfrachtung des Kindergartens, würde man ihm die zentrale Vermittlerrolle oder gar die Organisation für das gesamte Gemeinwesen übertragen. Dennoch sollten wir einen Augenblick innehalten und überlegen, in welchem Bezug die einzelnen Angebote zueinander stehen und welche Rolle dabei der Kindergarten einnehmen kann. Da ist das Jugendzentrum. So richtig Betrieb ist dort erst am späten Nachmittag und Abend. Vielerlei Freizeiträume gibt es nicht. Könnte man nicht überlegen, ob in direkter Nähe nicht der Hort unterkommen könnte? Vielleicht gar Räume nützen? Vielleicht hat auch eine Hausaufgabenhilfe Platz? Ließen sich vielleicht ältere Jugendliche sogar als "Hausaufgabenhelfer" einsetzen? Wäre nicht die enge Kooperation zwischen den Mitarbeitern im Jugendfreizeitbereich mit den Erziehern aus dem Hort (vor allen Dingen dem Hauptschulhort) ein Schritt in die Zukunft?

Doch zurück zum Kindergarten. Der längst notwendige Kindergarten und andere Einrichtungen wurden nicht gebaut in unserem Stadtteil. Dafür entstand aber ein Haus für Kinder und Familien. Es gibt eine Anzahl von Gemeinschafts- oder Mehrzweckräumen, wie z.B. ein Gymnastikraum und eine Turnhalle. Hier tummeln sich Kindergartenkinder, es gibt Mutter-Kind-Turnen, Schwangerengymnastik, aber auch Seniorengymnastik, auch generationenübergreifende Spielstunden finden hier statt, ebenso wie Begegnungsaktivitäten für behinderte und nicht behinderte Kinder. Die Räume sind immer ausgelastet. Daneben gibt es in dem Zentrum größere und kleinere Gruppenräume für Gesprächsrunden und Treffen verschiedener Personengruppen: Eltern des Kindergartens, Senioren, behinderte Kinder und Eltern, Elternselbsthilfegruppen... und natürlich gibt es Räume für den Kindergarten. Er arbeitet in altersübergreifenden Gruppen, sodass eine Krippe überflüssig ist. Kinder ab einem Jahr bis zu 12 Jahren werden hier gemeinsam betreut.

Eine wichtige Ergänzung und unverzichtbar sind auch die Angebote der Kinderbetreuung in Familientagespflege. Da die Tagesmütter auch in der Einrichtung mitarbeiten - professionelle und semiprofessionelle Arbeit ergänzt sich - ist es für Kinder auch kein "Bruch", wenn sie z.B. vormittags in der Gruppe sind und am Nachmittag bei der Tagesmutter. Gerade für Kinder, die die Gruppe noch nicht verkraften, sind solche Zwischenlösungen wichtig. Viele Kinder besuchen am Vormittag die Einrichtung und kommen am Nachmittag wieder, aber mit Mutter/ Vater in eine Mutter-/ Vater-Kind-Gruppe. Eltern können so mit ihren und anderen Kindern aktiv werden und ihr Kind im Alltag mit anderen Kindern - besonders wichtig bei Einzelkindern - erleben.

Die Kinder kennen ihre Spielkameraden, Mütter/ Väter finden Austauschmöglichkeiten zu Erziehungstragen, können aber auch Fähigkeiten einbringen und den Kindern anbieten (gemeinsames Musizieren, Sport usw.).

Das macht den Regelkindergarten aber keineswegs überflüssig, entlastet ihn aber und führt zu einer wertvollen Ergänzung. Alle sind begeistert und froh, dass sich alles von der starren Einteilung wegentwickelt hat. Die Koordination für das Erwachsenen-Kind-Programm obliegt der Leitung des Kindergartens.

Daneben ist das Seniorenprogramm. Auch hier Öffnung und Kooperation, gemeinsames Singen und Musizieren gehören zum Alltag, ebenso gemeinsames Malen oder Basteln. Die Senioren aus der Tageseinrichtung leben richtig auf bei gemeinsamen Aktivitäten. Verschiedene Generationen lernen sich kennen, es kommt zu Kontakten, auch außerhalb der Einrichtung. Ein Kind "findet" eine Oma, und ein kinderloses älteres Ehepaar einige Enkelkinder.

Der Seniorenklub bietet wöchentlich auch einen Familientag an. Hier treffen sich verschiedene Generationen, und einige Kinder aus dem Kindergarten nehmen Brettspiele und Bilderbücher mit und verabschieden sich für einige Stunden aus dem Kindergarten. Es ist schön zu beobachten, wie junge und alte Menschen voller Spannung am Mensch-ärgere-Dich-nicht-Spiel sitzen und ganz im Spiel aufgehen. Nicht alle nutzen gleich von Anfang an die Chance für solche Begegnungen. Viele beobachten zuerst. Das ist richtig. Niemand soll sich gezwungen fühlen.

Es gibt keine Auftritte von Kindergruppen vor dem Seniorenkreis. Es gibt ein Miteinander, übrigens gibt es auch Theatergruppen. Kommentar einiger Kinder: "Ist das toll. Jetzt haben wir alle Menschen zum Theaterspielen hier. Wenn ein Kind eine Oma spielt, trotz der Perücke ist es doch ein Kind, aber so richtig mit großen Leuten, das ist pfundig". Der Seniorenklub hat ein Weihnachtsmärchen eingeübt und steuert das Puppenspiel zur Weihnachtsfeier bei. "Unsere Omas und Opas sind die besten Puppenspieler der Welt."

Noch nicht alles... Es kommen immer neue Gedanken. Jeder Winkel des Zentrums ist mit Leben erfüllt. Türen sind offen, jeder kann sich aber auch zurückziehen. Alle professionellen Kräfte sind engagiert und wollen miteinander kooperieren. Meistens gelingt es auch. Es gibt so etwas wie eine Gesamtleitung - nicht pädagogisch, sondern mehr organisatorisch. Sie wickelt auch alles Finanzielle ab, sorgt dafür, dass sich die Verantwortlichen in den verschiedenen Gruppen regelmäßig zum Team- bzw. Kooperationsgespräch zusammenfinden. Sie bringen dann auch die Ergebnisse und Wünsche der Kinderkonferenz, des Seniorenrates, der Alleinerziehendengruppe usw. ein.

Der Motor für alles bleibt aber immer irgendwie der Kindergarten. Das mag daran liegen, dass wirklich nahezu 100% aller Familien dort zusammentreffen... Und Kindergärten gibt es überall. Die anderen Angebote und Bedürfnisse können von Ort zu Ort verschieden sein. So gibt es auch nicht den Kindergarten 2010, sondern viele, viele... Es wird spannend werden.

Autorin

Ingeborg Becker-Textor ist Kindergärtnerin und Hortnerin. Sie studierte Diplom-Sozialpädagogik an der Fachhochschule Würzburg und Diplom-Pädagogik an der Universität Würzburg und hat mehrere Zusatzqualifikationen wie z.B. den Abschluss als Fachlehrerin für Werken und das Montessori-Diplom erworben.
Frau Becker-Textor arbeitete als Kindergartenleiterin in Würzburg, als Regierungsfachberaterin für Kindertageseinrichtungen in Unterfranken, als nebenberufliche Dozentin in der Ausbildung für Kinderpfleger/innen und Erzieher/innen, in der Fortbildung für Erzieher/innen und Fachkräfte in der Jugendhilfe sowie mehr als 20 Jahre lang als Referatsleiterin im Bayer. Sozialministerium (nacheinander in den Bereichen Jugendhilfe, Kindertagesbetreuung und Öffentlichkeitsarbeit). Im Ministerium war sie auch für zahlreiche Forschungsprojekte auf Landes- und Bundesebene zuständig. Von 2006 bis 2018 leitete sie zusammen mit ihrem Mann das Institut für Pädagogik und Zukunftsforschung (IPZF) in Würzburg.
Ingeborg Becker-Textor ist Autorin bzw. Herausgeberin von mehr als 20 Büchern und über 40 Medienpaketen. Sie hat ca. 140 Fachartikel in Zeitschriften, in Sammelbänden und im Internet veröffentlicht.
Homepage: https://www.ipzf.de