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Zitiervorschlag

Gesundheitserziehung in der Kindertagesstätte - Möglichkeiten der Elternarbeit

Ingeborg Becker-Textor

 

Beginnen möchte ich mit zwei Zitaten. Beide führen auf ganz unterschiedliche Art und Weise in das Thema ein.

Altgriechische Weisheit: "Man kann den Körper nicht ohne die Seele heilen, und die Seele nicht ohne den Körper".

C.G. Jung: "Ebenso wichtig wie die Erziehung der Kinder ist eine Erziehung der Eltern".

Die altgriechische Weisheit macht deutlich, dass die Befassung mit Krankheit - Gesundheit - Gesundheitsförderung als ein alle Bereiche des menschlichen Lebens überspannende Aufgabe verstanden werden muss. Seelische Gesundheit ist die Voraussetzung für körperliche Gesundheit.

Der Schweizer Psychologe C.G. Jung sagt ganz klar, dass Elternerziehung - also Elternarbeit - genauso wichtig ist wie die Erziehung der Kinder. Damit wird der Auftrag der Kita klar erweitert um die Elternarbeit. Nur im Duo können die beiden Erziehungsaufträge zum Erfolg führen.

Gesundheitserziehung ist zur Zeit das Thema schlechthin. Eine Wiener Volkshochschule bietet 2007 im Rahmen einer umfangreichen Qualifikationsmaßnahme ein Modul mit der Überschrift "Elternarbeit und Gesundheitserziehung - Tipps zur praktischen Umsetzung" an. Man geht davon aus, dass die trizentrale Erziehung die sei, die bei den Kindern am fruchtbarsten ist. Alle Erziehenden sollten an einem Strang ziehen. Dabei reiche die Diskussion über gesunde Ernährung nicht aus.

Die Auseinandersetzung mit Lerninhalten wie

  • Erkennen der Notwendigkeit von Gesundheitserziehung,
  • die Erarbeitung und Vorbereitung von Elterngesprächen,
  • die Erprobung von Methoden der Vermittlung,
  • die praktische Durchführung von gemeinsamen Aktivitäten mit Eltern und Kindern
  • ...

sind Grundvoraussetzungen, wenn man Eltern für die Gesundheitsförderung gewinnen will.

Das Familienportal der AWO - VITAWO - befasste sich in seiner Ausgabe vom 8. September 2006 mit dem Thema "Kinderlebensmittel" und klärt Eltern über Zucker- und Fettanteile, Umweltverträglichkeit und Werbetricks, aber auch über Möglichkeiten gesunder Ernährung auf.

Es geschieht also bereits sehr viel. Für die Kita bedeutet das, dass sie abwägen muss, welches Thema sie zu ihrem Thema machen will oder welche Informationsquellen sie durch Aushänge oder in Elternbriefen lediglich an Eltern weitergeben möchte.

Vermittelnde Elternabende, also Aufklärungsvorträge, führen nur selten zum gewünschten Erfolg. Plädieren wir bei Kindern für experimentelles Lernen oder Erfahrungslernen, geben wir Eltern nur selten die gleichen Chancen. Bereiten wir uns entsprechend vor für die Elternarbeit!

Was bedeutet Gesundheitsförderung?

Richtige Ernährung ist sicher ein Thema und uns sehr geläufig. Aber nehmen nicht in letzter Zeit bei den Kindern psychosomatische Beschwerden, chronische Erkrankungen, psychische Störungen, motorische Unsicherheiten, Verhaltensauffälligkeiten usw. zu? Wo wollen und sollen wir ansetzen mit der Gesundheitsförderung?

Gesundheitsförderung lässt sich ganz einfach klären mit "Verhütung von Krankheit". Das ist aber zu einfach. Gesundheit muss verstanden werden als ein Geflecht, ein Miteinander, eine Verschmelzung von psychischen, physischen, sozialen, ökologischen, emotionalen Komponenten, die im Idealfall in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen, in einem Gleichgewicht. Gesundheitsförderung hilft den Menschen, zu diesem Gleichgewicht zu kommen.

In der positiven Trias Elternhaus - Kind - Kita entsteht ein harmonisches Klima für Bildung und Kommunikation, arbeiten Eltern und Erzieher/innen nicht gegeneinander, sondern miteinander, im Interesse des Kindes. So soll es sein.

Wer begegnet sich? Wer sind die Erzieher, die Eltern, die Kinder?

Erzieherinnen,

  • die zu wenig auf Elternarbeit vorbereitet sind,
  • die die Kooperation mit Eltern suchen, aber unsicher sind, wie es gehen soll,
  • die positive Erfahrungen mit einem dialogischen Verhältnis zu Eltern gemacht haben,
  • die ihre Aufgabe primär in der Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern sehen,
  • die sich ungern der Kritik von Eltern ausgesetzt fühlen.

Eltern,

  • die negative Erfahrungen mit "Berufspädagogen" gemacht haben,
  • die ihre Erziehungsaufgabe der Kita übertragen und selbst nicht gefordert werden wollen,
  • die kaum Interesse am Wohlbefinden ihrer eigenen Kinder haben,
  • die Angst vor der Erzieherin haben, weil sie zu großen Einblick in ihre familiären Verhältnisse haben könnte,
  • die bisher nur der Kritik von Erziehern begegnet sind.

Kinder,

  • die spüren, dass sich Eltern und Erzieherin nicht einig über Erziehung sind,
  • die immer wieder Inkonsequenz erleben,
  • die ihre Wünsche und Gefühle nicht artikulieren können oder dürfen,
  • die mit Geschenken, Süßigkeiten etc. ruhig gestellt werden,
  • deren Interessenslagen von Erwachsenen verkannt oder unterdrückt werden,
  • deren Schwächen bloßgestellt wurden,
  • deren Willen gebrochen wurde,
  • die ungerecht behandelt wurden,
  • denen positive Modelle fehlen.

Wie können wir dann fördern?

Wenn wir den Gedanken einer trizentralen Erziehung ernst nehmen, dann erlangen wir

  • demokratische Entscheidungen,
  • positive Lerneffekte für alle,
  • Synergien,
  • Motivierung zur Mitarbeit,
  • außergewöhnliche Lösungen.

Schön, wenn wir dies für die Gesundheitsförderung bzw. -erziehung in der Kita und in der Elternarbeit erreichen könnten!

Stecken wir unsere Ziele nicht zu hoch. Aus kleinen Erfolgen werden große Erfolge, und ein kleiner Rückschlag ist leichter zu verkraften.

Der Nutzen unserer angestrebten Ziele muss für alle Beteiligten erkennbar sein. Gemeinsame Erfahrungen und Experimente stabilisieren die Erziehung und schaffen ein gutes Fundament, auf dem vertrauensvoll und sicher aufgebaut werden kann.

Gerade im Bereich der Gesundheitsförderung hilft kein bloßes Ja-Ja-Sagen. Ein Umdenken muss stattfinden, und dies erfordert viel Überzeugungsarbeit.

Schuldzuweisung oder überzogene Kritik beeinflussen das gegenseitige Verständnis negativ und führen nicht zum Ziel, sondern vielmehr vom Weg ab.

Das Gesundheitsamt des Rhein-Kreises Neuss hat eine Liste der Gesundheitsförderung von A bis Z aufgestellt: Behinderung, Bewegung und Sport, Drogen- und Suchtprävention, Entspannung, Ernährung, Erste Hilfe, geschlechtsspezifische Gesundheitsförderung, gesundes Sitzen, Haltung und Heben, Gewalt und Aggression, Impfen, Kommunikation, Konfliktprävention und Bewältigung, Krankheiten, Lärmvermeidung und -reduzierung, Management, Migration, Mobbing, psychische Gesundheit, Schulhof- und Außengeländegestaltung, Schwangerschaft, Sexualaufklärung und Familienplanung, Sicherheit und Unfallverhütung, Sinneswahrnehmung, soziale Kompetenz, Sprache, Stressbewältigung, Umwelt, Verkehrserziehung, Wohnen und Raumgestaltung, Zahngesundheit.

Sie bemerken zu Recht kritisch: Das alles sollen wir angehen? Ja bitte, wie und wann? Und das alles sollen wir noch mit den Eltern bearbeiten?

Sie sollten unterscheiden nach langfristigen und kurzfristigen Maßnahmen, dürfen dabei Ihre eigenen Ressourcen, die der Kinder und der Eltern nicht aus dem Auge verlieren. Wählen Sie sich Ihre Themen je nach Bedürfnis und Problemlage aus, z.B.

  • Bewegung,
  • Ernährung,
  • Erzieherinnengesundheit,
  • Elternarbeit.

Stellen Sie sich Fragen wie:

  • Was hält Kinder, Erzieher, Eltern gesund?
  • Welche Ressourcen haben wir zur Verfügung?
  • Wie können alle Beteiligten einbezogen werden?
  • Wie kommt Partizipation zu Stande?
  • Kann Vernetzung mit anderen externen Partnern hilfreich sein?
  • Wie deutlich/ transparent müssen die Aktivitäten sein?
  • Wie dokumentieren wir die einzelnen Schritte und evaluieren wir die prozesshafte Entwicklung?
  • Woran orientieren wir uns? Zum Beispiel am Gesundheitsbegriff der WHO?

Sie werden Positives und Negatives feststellen. Versuchen Sie, für sich Antworten auf Defizite zu finden. Das Beklagen von Defiziten allein reicht nicht aus.

Defizit Antwort

Einseitige Ernährung in der Familie

In der Kita abwechslungsreiche Kost modellhaft anbieten

Unregelmäßige Mahlzeiten, schnelles Essen, Kinder kommen mit der Frühstücksbrot in der Hand in die Kita

In der Kita Tischgemeinschaft, feste Essenszeiten, Tischsitten

Unkontrollierter Süßigkeitsverzehr, immer Süssigkeiten im Kindergartentäschchen

Nachtisch, Süßigkeiten nur zu bestimmten Anlässen

Zu wenig Hygiene

Regelmäßiges Händewaschen, Zähneputzen in der Kita üben

Kein Wissen über die Herkunft der Nahrungsmittel, die Butter kommt aus der Kühltheke

Gartenbeete anlegen, Gemüse selbst ziehen, Butter selbst herstellen, Brot backen etc.

Ungesundes Frühstück

Gemeinsame Zubereitung eines gesunden Frühstücks, evtl. auch mit Eltern

Werbung beeinflusst Essverhalten

Entwicklung von Eigenverantwortung für gesunde Ernährung

Essen nur aus der Dose

Frisch zubereitetes Essen in der Kita, Kinder helfen mit, selbst konservieren wie z.B. Marmelade kochen

Ein solcher Defizit-Antwort-Katalog ließe sich natürlich beliebig fortsetzen.

Wie aber schaffen wir den Transfer in die Elternarbeit? Welche Methoden bieten sich uns an? Haben die Eltern nicht sehr unter der Hektik des Alltags zu leiden, finden keine Wege zur Stressbewältigung?

Aus der Fülle der Möglichkeiten möchte ich ganz besonders die therapeutische Familienfreizeit herausgreifen. Es ist die Möglichkeit oder eine Methode, wie Sie in ganz unkonventionellem Rahmen dicht an die Eltern herankommen - und dies in einer gemeinsamen Erlebniswelt mit den Kindern.

Die Familienfreizeit ist eine ganz spezielle Form der Arbeit mit Eltern und Kindern. Ihre Wirkung reicht von unterhaltenden bis hin zu therapeutischen Effekten.

Der Begriff der Familienfreizeit taucht in der Fachliteratur nicht als eigenständiger Terminus auf, sondern nur hin und wieder als eine mögliche Methode der Elternarbeit oder Elternbildung. In der Praxis der Kita wird er negativ besetzt, da von den Mitarbeiter/innen ein hoher persönlicher Einsatz, Freizeit, Wochenendtätigkeit, Rund-um-die-Uhr-Einsatzbereitschaft und Ähnliches gefordert werden.

Unter Freizeit versteht man die von der überwiegend fremdbestimmten Berufsarbeit entlastete Zeit, also die Stunden, die vom Einzelnen nach freiem Ermessen ausgefüllt werden können - vorausgesetzt er kann sich von sozialen und Konsumzwängen befreien und zur wirklichen Muße finden. Dass dies nur wenigen Menschen ohne fremde Hilfe gelingt, zeigt das große Problem der Freizeitbewältigung (übrigens auch ein krankmachender Faktor). Was tun mit der freien "zwecklosen" Zeit? Für die Freizeitpädagogen und -animateure hat sich ein breites Betätigungsfeld eröffnet.

Auch entartet Freizeit nicht selten in Arbeit. Denken wir z.B. an Aktivitäten in Vereinen und sonstigen Gruppierungen. Insbesondere Menschen, die in ihrem Beruf oder an ihrem Arbeitsplatz wenig Anerkennung und Bestätigung erhalten, bauen sich regelrechte Freizeitkarrieren auf.

Der Terminus Familienfreizeit beinhaltet jedoch den Begriff der Familie. Familie bezeichnet in erster Linie die im sogenannten Familienverband zusammenlebenden Eltern und Kinder. Neben diesem "klassischen" Familientypus bestehen heute verschiedene neue oder Sonderformen der Familie wie Scheidungsfamilie, Ein-Eltern-Familie, Patchworkfamilie usw.

Die Gesellschaft erwartet von der Familie eine grundlegende und vor allem verwertbare Erziehungsleistung. Um diese Erwartung zu erfüllen, gerät die Familie nicht selten unter einen gewissen Leistungsdruck, den sie in Abhängigkeit von ihrer Lebenssituation und ihrem sozialen Standort ganz unterschiedlich bewältigt. "Die Erziehung in der Familie ist danach unlöslich geknüpft an den Status und die Kompetenzen der erwachsenen Mitglieder, an die Muster interpersonellen Verhaltens, die sie unter dem Druck ihrer gesellschaftlichen Stellung entwickeln und die sie an ihre Kinder weitergeben. Dies geschieht auf drei Ebenen:

  • Im Eltern- bzw. Erwachsenensystem, indem nach Maßgabe der gesellschaftlichen Stellung Arbeitsteilung vorgenommen, Rollen realisiert und Beziehungen definiert werden;
  • im Eltern-Kind-System, indem die Wertorientierungen, Handlungsmuster und Fertigkeiten, die mit dem Erwachsenensystem übereinstimmen, an die Kinder vermittelt werden, unter Umständen auch Beziehungs- und Identitätskonflikte der Erwachsenen kompensiert werden;
  • im Kindersystem, indem Bedürfnisse und ihre Befriedigung spielerisch balanciert, Handlungsmuster und Rollen spielerisch antizipiert und familienexterne Orientierungen eingeübt werden" (Mollenhauer).

Freizeit, Familie, Familienfreizeit. Familienfreizeiten werden nur selten ausschließlich als zweckfreie Stunden der Entspannung und Muße innerhalb einer Gruppe von Familien verstanden. Zumeist sollen sie zusätzlich oder in erster Linie andere Funktionen erfüllen, also z.B. die Familienmitglieder hinsichtlich bestimmter Themen weiterbilden, ihnen neue Techniken lehren, die Familien einander näher bringen, ihnen beim Aufbau eines Netzwerkes helfen, Kindern die Möglichkeit von Aktivitäten mit Gleichaltrigen in der freien Natur bieten, Problemfamilien integrieren oder verhaltensauffälligen Kindern neue Lernerfahrungen vermitteln. So reichen die Ziele und Aufgaben von Familienfreizeiten über das ganze Spektrum bildender, sozialpädagogischer, gesundheitsfördernder und therapeutischer Maßnahmen.

Ich selbst habe Dutzende von Familienfreizeiten durchgeführt und den gesundheitsfördernden Charakter für Kinder und Familien deutlich erleben können. Diese Familienfreizeiten wurden im Programm eines Erwachsenenbildungszentrums ausgeschrieben. Die Legende machte keine näheren Angaben über Inhalt und Ziele der Veranstaltung, sondern versprach nur ein Wochenende für Familien mit Kindern, keine häuslichen Verpflichtungen wie Kochen, Bettenmachen usw.

Anreise zum Ort der Veranstaltung war immer am Freitagabend nach der Arbeit. Der Beginn erfolgte mit einem gemeinsamen Abendessen. Feste Zeiten waren immer die Tischzeiten: 8.00 Uhr Frühstück, 12.30 Uhr Mittagessen, 18.30 Abendessen (konnte auch verlegt werden, dann kaltes Essen und kein Service).

Welches Resümee lässt sich aus diesen Familienfreizeiten ziehen, und was macht den Charakter einer therapeutischen oder gesundheitsfördernden Familienfreizeit aus?

Familienfreizeiten können unterschiedlich verlaufen. Grundsätzlich ist ihr Ursprung in dem Bedürfnis zu sehen, dass Familien in ähnlichen Situationen, mit etwa gleichaltrigen Kindern und mit vergleichbaren Erziehungsfragen und -problemen, den Wunsch haben, in ihrer Freizeit gemeinsam etwas zu unternehmen. Manche Familienbildungsstätten und Erwachsenenbildungszentren kommen diesem Bedürfnis durch ihre Angebote nach.

Aber auch jede Kita kann solche Freizeiten selbst durchführen. Die Gruppe sollte maximal 8 bis 10 Familien und insgesamt 20 bis 25 Kinder nicht überschreiten. Das Team sollte 4 Fachkräfte und eventuell 2 Praktikanten umfassen. Partner und eigene Kinder können teilnehmen.

Familienfreizeiten verschwinden aber immer mehr aus dem Katalog der Angebote. Die Bezuschussung aus öffentlichen Mitteln wird immer schwieriger, nicht zuletzt deshalb, weil viele Entscheidungsträger von einem reinen "Erholungswochenende" sprechen.

Familienfreizeiten werden immer unterschiedlich gestaltet sein. Dies ist größtenteils von der Intention der Initiatoren und der Teilnehmer abhängig. So kann eine Familienfreizeit ein intensives Erziehungsseminar sein oder Eltern freie Räume bieten, indem die Kinder betreut werden und die Eltern unter sich sind. Auch können Erziehungsfragen problematisiert und diskutiert oder Kontakte initiiert, ausgebaut und vertieft werden.

Die unterschiedliche Gestaltung liegt zum einen in der Hand des Mitarbeiterteams, zum anderen in der Hand der Teilnehmer, wobei ein gutes Mittelmaß sicherlich den größten Erfolg verspricht. So lässt z.B. eine geplante oder überplante Freizeit dem Teilnehmer nicht ausreichend Spielraum für eigene Erkenntnisse und Beobachtungen. Sie fühlen sich schnell unterrichtet und gegängelt und können selbst nicht zu Wort kommen. Ebenso unbefriedigend kann der umgekehrte Fall sein, wenn nichts vorbereitet ist und das Team sich auf die Ideen der Teilnehmer verlässt. Ob diese Freizeit dann ihrer Zielsetzungen erreicht, ist sehr fraglich.

Der Verlauf und die Ergebnisse der Freizeit werden von ganz unterschiedlichen Faktoren wie Gruppenzusammensetzung, Altersstruktur der Kinder, räumlichen Gegebenheiten, Wetter, Dialogfähigkeit der Teilnehmer, Offenheit, Interaktionsfähigkeit usw. bestimmt. Die eigentlichen Ergebnisse lassen sich zumeist erst am Ende einer Freizeit feststellen.

Während der Freizeit laufen viele familiale Prozesse ab. Ehepartner erleben sich in einer andersartigen Situation und zeigen neue Verhaltensweisen. Die Kinder lösen sich von den Eltern und fühlen sich dabei durch Gleichaltrige und das Betreuungspersonal unterstützt. Sie wagen so manchen Schritt nach vorne, den sie im häuslichen Bereich niemals tun würden. Diese Prozesse haben Auswirkungen auf den Beziehungsalltag junger Familien. Viele berichten nach der Teilnahme an mehreren Freizeiten, dass die dort gemachten Erfahrungen ihr Verhältnis zum Partner, aber auch zu den Kindern stark beeinflusst hätten. Vor allem helfen solche Treffen, Überbehütung abzubauen oder zu verhindern.

Ganz besonders bedeutsam ist die von den Freizeiten ausgehende Wirkung auf die Erziehung der Kinder. Ohne dass Verhaltensweisen reflektiert oder diskutiert werden, kommt es durch das enge Zusammenleben mit anderen Familien und deren Vorbildwirkung zu Einsichten, Verhaltensänderungen und Umdenken hinsichtlich von Erziehungszielen und -stilen. Außerdem können den Eltern im Rahmen solcher Veranstaltungen Informationen, Wissen und Verhaltensmaßstäbe für die Erziehung ihrer Kinder mitgegeben werden.

Ziel aller Maßnahmen ist es, den Eltern einerseits mehr Sicherheit in ihrem erzieherischen Handeln durch die Vermittlung von Kenntnissen und den Austausch mit Dritten zu geben sowie ihnen andererseits die Möglichkeit zu bieten, ihr eigenes Verhalten in Kontakt mit anderen kritisch zu überdenken und von diesen zu lernen. Denken wir nur z.B. an Eßgewohnheiten!

Familienfreizeiten können auch einen großen Einfluss auf den Alltag und Erziehungssituationen haben. So führen z.B. solche mit Kindergarteneltern dazu, dass häufig Teilnehmer im Kindergarten aktiv werden und, wenn nötig, mit Hand anlegen. Das ist ein besonders wichtiger Aspekt, wenn wir den Bereich der Bewegungs- und Gesundheitserziehung anschauen.

Auch können scheinbar schwierige Eltern gezielt zu Freizeiten eingeladen werden. Dadurch entsteht ein neues Kommunikationsfeld: Man spielt und arbeitet gemeinsam, lernt voneinander durch Beobachtung. Nachahmung und Beratung. Ferner bilden sich Eltern-Kind-Gruppen und Nachbarschaftshilfen nach solchen Familienfreizeiten. Junge Familien schließen Freundschaften miteinander und treffen sich auch nach der Freizeit regelmäßig, betreuen wechselseitig die Kinder oder planen gemeinsame Unternehmungen.

Sicherlich steckt in den therapeutischen Familienfreizeiten eine große Zahl an Möglichkeiten zur Unterstützung und Stabilisierung von Familien. Leider jedoch lassen sich nur schwer Mitarbeiter finden, die das für derartige Veranstaltungen notwendige Engagement einbringen können und wollen. In Stundenhonoraren lässt sich die Mitarbeit bei einer Familienfreizeit sicher nicht berechnen, auch müsste sie dann oft aufgrund der hohen Kosten ausfallen.

Der Profit, den ein Kita-Team durch die Durchführung einer solchen Familienfreizeit "erwirtschaften" kann, erleichtert die Arbeit im Alltag so sehr, dass sich selbst der Einsatz von etwas Freizeit wirklich lohnt!

Autorin

Ingeborg Becker-Textor ist Kindergärtnerin und Hortnerin. Sie studierte Diplom-Sozialpädagogik an der Fachhochschule Würzburg und Diplom-Pädagogik an der Universität Würzburg und hat mehrere Zusatzqualifikationen wie z.B. den Abschluss als Fachlehrerin für Werken und das Montessori-Diplom erworben.
Frau Becker-Textor arbeitete als Kindergartenleiterin in Würzburg, als Regierungsfachberaterin für Kindertageseinrichtungen in Unterfranken, als nebenberufliche Dozentin in der Ausbildung für Kinderpfleger/innen und Erzieher/innen, in der Fortbildung für Erzieher/innen und Fachkräfte in der Jugendhilfe sowie mehr als 20 Jahre lang als Referatsleiterin im Bayer. Sozialministerium (nacheinander in den Bereichen Jugendhilfe, Kindertagesbetreuung und Öffentlichkeitsarbeit). Im Ministerium war sie auch für zahlreiche Forschungsprojekte auf Landes- und Bundesebene zuständig. Von 2006 bis 2018 leitete sie zusammen mit ihrem Mann das Institut für Pädagogik und Zukunftsforschung (IPZF) in Würzburg.
Ingeborg Becker-Textor ist Autorin bzw. Herausgeberin von mehr als 20 Büchern und über 40 Medienpaketen. Sie hat ca. 140 Fachartikel in Zeitschriften, in Sammelbänden und im Internet veröffentlicht.
Homepage: https://www.ipzf.de