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Zitiervorschlag

Projektbericht "Mobile Kindergartenpsycholog/innen"

Ilona Schöppl

 

Projektvorgeschichte

Im Rahmen der Kindergesundheitsstrategie (KGS) wurde betont, dass Kindern eine rasche psychosoziale Hilfe zur Verfügung gestellt werden soll, bevor eine Krankheit entsteht. Wenn verhaltensauffällige Kinder rechtzeitig Hilfe bekommen, können in Zukunft die Wartezeiten auf Psychotherapie verkürzt werden. Investitionen in die Kindergesundheit haben laut der Projektleitung der KGS einen ROI von 1:10!

Kinder haben laut KGS keine Lobby. Das Projekt "Mobile Kindergartenpsycholog/innen" unterstützt die schwächsten Glieder unserer Gesellschaft, die Kinder. Vor allem Kinder aus sozioökonomisch schwachen Gruppen leiden unter gesundheitlicher Ungleichheit. Dem will dieses Projekt Abhilfe schaffen, indem niederschwellig kostenlose Unterstützung angeboten wird. Die Intervention im Setting Kindergarten beginnt, bevor die Verhaltensauffälligkeit pathologisch wird. Somit kann eine spätere Stigmatisierung in der Schule und im Berufsleben verhindert werden.

Im Oktober 2010 fand in Oberösterreich eine Kindergartenpädagog/innen-Fachtagung "Über die Bedeutung von Forschung und Ausbildung für die Vorschulpädagogik" des Vereins für prophylaktische Gesundheitsarbeit (PGA) statt. Im Rahmen dieser Fachtagung brachten viele Kindergartenpädagog/innen zum Ausdruck, dass sie eine Zunahme der Verhaltensauffälligkeit von Kindergartenkindern beobachten. Sie benötigen diesbezüglich eine Unterstützung in Form von Coaching für Kinder und Eltern sowie spezifische Fortbildungen für Kindergartenpädagog/innen.

Ein Gespräch mit einer leitenden Psychologin der Jugendwohlfahrt Oberösterreich, mit jahrelanger Berufserfahrung, zeigte uns, dass es tatsächlich Betreuungslücken gibt. Eine gemeinsame Analyse der Situation der zur Verfügung stehenden Angebote für Kindergartenkinder hat uns zur Entwicklung dieses Konzeptes veranlasst.

Beschreibung und Analyse der Problemstellung

Bereits bei Kindergartenkindern können ungleiche Gesundheitschancen vulnerabler Gruppen festgestellt und durch gezielte Gesundheitsförderung abgebaut werden. Im Rahmen dieses Projektes kommt der ganzheitliche Ansatz zur Anwendung, der alle Betroffenen (Kinder, Eltern, Kindergartenpädagog/innen) involviert. Durch Einbeziehung des Umfelds des Kindes können nachhaltige Verbesserungen bewirkt und Diskriminierung des betroffenen Kindes verhindert werden. Durch die niederschwellige Methode der "Aufsuchenden Beratung" im Kindergarten können auch jene Eltern erreicht werden, die sich durch herkömmliche Anbote nicht angesprochen fühlten.

Auf der Verhaltensebene werden im Rahmen des Projekts Probleme in der Persönlichkeitsentwicklung (funktional und/oder dynamisch) sowie in der Entwicklung interaktiver, kommunikativer und somit psychosozialer Kompetenz verhindert bzw., wenn dies nicht mehr möglich ist, diesbezügliche Störungen möglichst früh erfasst, dementsprechende Hilfestellungen angeboten und positive Entwicklungsprozesse in Gang gesetzt - in möglichst effizienter interdisziplinärer Kooperation vor allem mit den in den Einrichtungen tätigen Fachleuten und den Eltern bzw. Erziehungsberechtigten.

Das zentrale Projektziel ist, bei Bedarf und Notwendigkeit psychosoziale Hilfestellungen im Kindergarten anzubieten. Durch Capacity Building soll aber vor allem vorbeugend agiert werden. Für Kindergartenpädagog/innen werden im Rahmen dieses Projekts Fortbildungen (vgl. www.pga.at) angeboten. Somit werden Kompetenzen gestärkt und Bewältigungsstrategien entwickelt. Dabei geht es darum, Kinder und die sie umgebenden Systeme vor dem Hintergrund der jeweiligen Gegebenheiten in ihrer Entwicklung zu fördern und Störungen frühzeitig durch Intervention präventiv entgegenzuwirken.

Die Ursachen für "Verhaltensauffälligkeiten" können multikausal sein. Möglich ist auch das Erlernen von auffälligen Verhaltensweisen in den Familien durch unbewusstes Nachahmen oder um Aufmerksamkeit zu erzielen. Entwicklungsschädigungen entstehen aber auch dann, wenn die Eltern ihrer erzieherischen Funktion nicht nachkommen können und/oder das Kind unsicheren Bindungen ausgesetzt ist.

Im Rahmen dieses Projektes wird Eltern die Möglichkeit zum Erlernen von gesundheitsförderlichen und "kindgerechten" Alternativen im Umgang mit schwierigen Lebenssituationen geboten. Bei den Schulungen geht es nicht um Schuldzuweisungen, sondern um die Vermittlung von lösungsorientierten Ansätzen. Kinder leiden z.B. oft unter Ehekonflikten. Sie fühlen sich grundlos verantwortlich und versuchen unbewusst, die Eltern mit auffälligem Verhalten von ihren Konflikten abzulenken.

Die Ursache von Verhaltensauffälligkeit kann aber auch in der Betreuungseinrichtung liegen. Verhaltenserwartungen durch Vorurteile gegenüber einem Kind oder seiner Familie können sich als selbst erfüllende Prophezeiungen entpuppen. Durch Capacity Building kann hier präventiv agiert werden. Aber auch Bewegungsmangel, Über- und Unterforderung etc. haben des öfteren Verhaltensauffälligkeiten (Aggressionen etc.) zur Folge.

Im Rahmen dieses Projekts werden sowohl verhältnispräventive (Betreuungseinrichtung) als auch verhaltenspräventive Interventionen durchgeführt.

Familienkompetenz und Entwicklung von Bewältigungsstrategien für den Alltag, gewaltfreie Erziehung und die "Aufsuchende Beratung" sind nach herrschender Lehre derzeit Mittel der Wahl, um das Präventionsparadoxon (jene, die Gesundheitsförderung nötig haben, können mit herkömmlicher "Aufklärung" nicht erreicht werden) aufzuheben.

In den betroffenen Gruppen werden folgende Themen bearbeitet: Soziale Beziehungen in der Gruppe, Selbstwertgefühl, Umgang mit (negativen) Emotionen, Problemlösungskompetenz, soziale Kompetenz, Resilienz im Alltag u.v.a.m. Auf ganzheitlicher Ebene werden Erzieher/innen, Kinder, Eltern und Erziehungsberechtigte bedarfsorientiert und zielgruppenspezifisch in den Lebenswelten einbezogen.

Lernen aus anderen Projekten (national/international)

Bei einem mehrjährigen Kindergartenscreening in Deutschland mit rund 4.000 Kindern konnte gezeigt werden, dass das erwartete Bildungsprofil von Kindern aus "sozial schwachen" Stadtteilen durch gezielte Interventionen deutlich überboten werden kann. Das Screening wurde von der Ruhr-Universität-Bochum, Prof. Peter Strohmeier (Soziologie, Stadt und Region, Familie) durchgeführt.

Bei den "Mülheimer Kindertagesstätten" kam das "Early Excellence Concept" zur Anwendung, das auch als Basis für unser Projekt gilt. Im Fokus stehen die Stärken und Kompetenzen der Kinder, und die Eltern werden als Experten ihres Kindes betrachtet.

Beschreibung des Settings

Im Setting Kindergarten haben wir die Chance, mit relativ geringen Investitionen enorme Erfolge für die Kindergesundheit zu erzielen (ROI von 1:10). In diesem Setting erreichen wir auch Kinder von sozial schwachen Gruppen, die sich oft scheuen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen - einerseits aufgrund der Stigmatisierung und andererseits weil sie keine finanziellen Ressourcen haben. In der Gesundheitssoziologie ist dieses Phänomen unter dem Begriff "Präventionsparadox" bekannt, d.h. jene, die Gesundheitsförderung benötigen, nehmen sie nicht in Anspruch. Im Rahmen dieses Projekts wird das Instrument "Aufsuchende Beratung" angewandt, somit können gefährdete Gruppen (Kinder + Eltern) erreicht werden. In dieser Altersgruppe kann noch verhindert werden, dass die Verhaltensauffälligkeit pathologisch wird und eine Stigmatisierung erfolgt.

Das vorliegende Projekt richtet sich an Kindergartenkinder und deren Eltern sowie an Kindergartenpädagog/innen in Oberösterreich. Zu Projektbeginn werden alle oberösterreichischen Träger über das Projekt informiert und wird ihnen die Teilnahme angeboten. Vor allem gilt es auch, das "Stadt-Land-Gefälle" bei der Inanspruchnahme von derartigen Beratungsangeboten ebenso wie die unterschiedliche Zugangsweise und Bewältigungskompetenz der Eltern zu berücksichtigen.

Beschreibung der Zielgruppe

Kindergartenpädagog/innen werden für das Thema Vorbeugung und Hilfestellung bei Verhaltenauffälligkeiten sensibilisiert. Sie können eine "mobile Kindergartenpsychologin" anfordern, die geeignete Maßnahmen empfiehlt. Wenn gewünscht werden Einzel- bzw. Gruppenberatung für Eltern zur Stärkung der Familienkompetenz angeboten.

Vision und Ziele

Das Ziel dieses Projektes ist es zu zeigen, dass durch einfache präventive Maßnahmen, Beratung der Betroffenen und "Frühe Hilfen" die gesundheitlichen Chancengleichheiten für Kinder und Eltern aus vulnerablen Gruppen nachhaltig verbessert werden können. Somit können die Schwierigkeiten, die verhaltensauffällige Kinder später im Schulalltag und im Berufsleben haben, verhindert werden.

Um eine Langzeitwirkung zu erreichen, wird im PGA Linz ein Kompetenzzentrum entwickelt werden, das für Kindergartenpädagog/innen, Eltern und Kinder Angebote zur Stärkung ihrer Kompetenz anbietet. Ein wesentliches Anliegen dieses Projektes ist es, vorhandene Strukturen zu vernetzen.

Nachhaltigkeit und Veränderungen

Die Nachhaltigkeit wird durch die Schulung der Eltern und Kindergartenpädagog/innen erreicht. Durch die Entwicklung eines Kompetenzzentrums werden auch über den Projektzeitraum hinaus positive Wirkungen erzielt. Die Interventionen finden im Setting Kindergarten statt, d.h. das gesamte Umfeld des Kindes wird hier eingebunden. Eltern lernen im Sinne einer "Elternschule" neue Verhaltensweisen kennen. Kindergartenpädagog/innen profitieren von den Schulungen für ihre weitere berufliche Tätigkeit - somit profitieren nicht nur die im Projekt betreuten Kinder, sondern auch nachkommende.

Aktivitäten und Methoden

Fortbildung der "Mobilen Psycholog/innen"

Gemeinsam werden standardisierte Handlungsabläufe entwickelt. Es kommt das bereits in Deutschland erfolgreich eingesetzte "Early Excellence Concept" zur Anwendung.

Präventionsvormittage

Der Präventionsvormittag im KIGA dient zum Erlernen "sozialer Kompetenzen" und soll helfen, Verhaltensauffälligkeiten vorzubeugen. Die "Mobile Psychologin" spricht mit der Kindergruppe über Gefühle. Die Kinder lernen spielerisch, Gefühle bei sich und anderen zu erkennen, Regeln zu formulieren und einzuhalten.

Betreuung der Kindergartengruppe

Beobachtet eine Kindergartenpädagogin ein auffälliges Verhalten eines Kindes, kann sie im Rahmen des Projekts eine "Mobile Psychologin" für die Kindergartengruppe hinzuziehen.

Ablauf:

  1. Gespräch mit Kindergartenpädagogen
  2. Gespräch mit Eltern der betroffenen Kinder
  3. Beobachtung/Abklärung/Tests mit den betroffenen Kindern

Es wird ein Maßnahmenplan für die Kinder entwickelt und ein passendes Angebot für die Eltern zur Stärkung ihrer Familienkompetenz erstellt, weiters folgen Inputs für die Kindergartenpädagog/innen bzw. die Stützkräfte. Die Maßnahmen werden den Eltern in einem Gespräch näher gebracht. Zudem werden mit der Kindergartenpädagogin Fortschritte des Kindes besprochen und reflektiert. Eine Verlaufskontrolle des Kindes durch die Psychologin nach einem halben Jahr soll die Fortschritte dokumentierten und gegebenenfalls Anlass für weitere Empfehlungen sein.

Elternabende

Vorbeugend werden für alle Eltern des Kindergarten (keine Stigmatisierung) kostenlose Elternabende zu spezifischen Themen angeboten (Modell Elternschule). Die Elternabende finden im Kindergarten statt. Im Anschluss an die Elternabende steht die "mobile Psychologin" für Fragen zur Verfügung. Bei konkreten Fällen wird den Eltern eine Beratung angeboten nach den Grundsätzen des "Early Excellence Concept" angeboten.

Lehrgang für Kindergartenpädagog/innen

Ergänzend zum bestehenden PGA-Fortbildungsprogramm wurde ein projektspezifischer Lehrgang mit folgenden Schwerpunkten entwickelt:

  • Führung von schwierigen und sensiblen Elterngesprächen
  • Umgang mit verhaltensauffälligen Kindern
  • mögliche strukturelle Ursachen in der Betreuungseinrichtung
  • Kriterien, wann eine "Mobile Psychologin" hinzugezogen werden soll

In diesem Projekt werden die Gesundheitspotenziale der Zielgruppe durch Anwendung des Empowerment-Ansatzes nachhaltig gestärkt. Um dem Prinzip der Partizipation zu genügen, forcieren wir die Einbindung des Umfeldes des Kindes; sowohl die Eltern als auch die Kindergartenpädagog/innen werden integriert. Durch Vernetzungsarbeit bereits bei der Projektplanung werden Doppelgleisigkeiten vermieden und Synergien genutzt. Wir legen besonderen Wert auf die Vermittlung zu bestehenden Institutionen, um den identifizierten Betreuungsbedarf abzudecken.

Partnerschaften, Kooperation und Vernetzung

Bereits in der Projektplanungsphase wurde mit einer leitenden Angestellten der Jugendwohlfahrt des Landes Oberösterreich zusammen gearbeitet. Darüber bestehen folgende Partnerschaften:

  • Fonds Gesundes Österreich
  • Abteilung Bildung des Landes Oberösterreich
  • Oberösterreichische Gebietskrankenkasse
  • Träger von Kindergärten (Land Oberösterreich, Gemeinden, Caritas, Kinderfreunde, private Träger)

Evaluation des Projekts

Das Projekt wird extern evaluiert. Prozesse und Abläufe werden intern dokumentiert (auf Basis der Anforderungen von Seiten der externen Evaluation) und fließen in den Gesamtbericht ein. Alle Kindergartenpädagog/innen erhalten zwei Wochen nach erfolgter Intervention vom Evaluator einen Link zum Online-Fragebogen. Sechs Monate nach Projektbeginn fanden Fokusgruppendiskussionen, getrennt nach Pädagog/innen und Psycholog/innen, statt.

Projektlaufzeit

Beginn Juni 2012, Ende Okt. 2013

Schlussbemerkung

Die externe Zwischenevaluierung ergab, dass eine Institutionalisierung des Projektes von Seiten der Kindergartenpädagog/innen unbedingt erwünscht ist. Wir sind derzeit auf der Suche nach Finanziers.

Autorin

Dr.in Ilona Schöppl
Leitung Forschung und Entwicklung
PGA, Verein für prophylaktische Gesundheitsarbeit
Museumstraße 31a
4020 Linz
Tel.: 0732/77 12 00 - 49
Fax: 0732/77 12 00 - 22
Email: [email protected]

Website: www.pga.at