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Zitiervorschlag

Die "NICHD Study of Early Child Care" - ein Überblick

Martin R. Textor

 

Das "NICHD Early Child Care Research Network" (1) führte in den USA ab 1991 eine Längsschnittuntersuchung durch, bei der Kinder von der Geburt bis zum Ende der sechsten Schulklasse begleitet wurden (eine weitere Nachuntersuchung ist geplant, wenn die Kinder 15 Jahre alt sind). Sie begann mit 1.364 Kindern und deren Familien; im Verlauf der Studie wurde die Stichprobe immer kleiner (2). Die Teilnehmer/innen wurden an 10 Orten in verschiedenen Staaten der USA kurz nach der Entbindung des jeweiligen Kindes rekrutiert. Von der Untersuchung ausgeschlossen wurden Fälle, bei denen die Mutter zu diesem Zeitpunkt jünger als 18 Jahre war, wenn Mehrlinge geboren wurden, wenn die Eltern nicht fließend Englisch sprechen konnten, wenn es bei Mutter oder Kind größere medizinische Probleme gab oder wenn die jeweilige Familie zu weit entfernt oder in einem gefährlichen Stadtteil lebte.

Die Stichprobe war somit nicht repräsentativ, wie auch folgende Daten zeigen: Die Teilnehmer/innen waren überwiegend weiß (76%) bzw. spanischen Ursprungs (6%); knapp 13% waren schwarz und 5% waren asiatischen, indianischen oder sonstigen Ursprungs. Das Einkommen in der Stichprobe lag mit 37.781 $ etwas über dem Durchschnittseinkommen von 36.875 $. Mütter mit höheren Bildungsabschlüssen waren überrepräsentiert (College/ Universität: 35% versus 18% in der Bevölkerung), während Mütter ohne Schulabschluss unterrepräsentiert waren (10% versus 24%).

Etwas mehr als 20% der untersuchten Kinder wurden bereits als Babys in Familientagespflege und 8% in Kindertageseinrichtungen versorgt; knapp die Hälfte wurde entweder von dem Vater/ Partner oder von Großeltern betreut. Im Alter von drei Jahren wurden mehr als 90% der Kinder regelmäßig fremdbetreut (im Durchschnitt für 33 Wochenstunden). Mit 4,5 Jahren wurden die Kinder häufiger in Tageseinrichtungen und seltener in Tagespflege betreut als in den Jahren davor. Im Alter von 3 bis 54 Monaten erlebten sie durchschnittlich mehr als fünf verschiedene Betreuungsarrangements.

Während der Längsschnittstudie wurden die Kinder immer wieder getestet. Ferner wurden ihre Eltern, Betreuer/innen, Erzieher/innen und Lehrer/innen mehrmals befragt oder in der Interaktion mit den Kindern beobachtet. Die Qualität der Fremdbetreuung wurde u.a. durch die Beobachtung und Bewertung der Häufigkeit und Qualität der Interaktionen (z.B. Ausmaß von Sensibilität, Responsivität, Kindzentrierung und kognitiver Stimulierung) im jeweiligen Setting (Kindertageseinrichtung, Tagespflege, Betreuung durch Verwandte in der Familie) sowie anhand von "regulierbaren" Variablen (z.B. Gruppengröße, Fachkraft-Kind-Relation, Raumausstattung, Ausbildung und Berufserfahrung der Betreuer/innen) gemessen.

Die Forschungsergebnisse wurden in mehr als 100 wissenschaftlichen Artikeln veröffentlicht bzw. diskutiert. Sie werden im Folgenden stichwortartig zusammengefasst (3):

  • Während der ersten 15 Lebensmonate wurden die Mutter-Kind-Bindungen insbesondere durch Beobachtung in der "Strange Situation" erfasst. Es wurden keine Unterschiede zwischen fremdbetreuten und in der Familie aufwachsenden Kindern bei der Klassifikation der Mutter-Kind-Bindungen ermittelt. Von signifikanter Relevanz waren hingegen die Sensibilität und Responsivität der Mütter: Kinder waren weniger sicher gebunden, wenn diese Eigenschaften schwach ausgeprägt waren und das jeweilige Kind zusätzlich in einer qualitativ schlechten Fremdbetreuung war, wenn es für mehr als 10 Wochenstunden fremdbetreut wurde oder wenn es mehr als ein Betreuungsverhältnis gab (NICHD Early Child Care Research Network 1997).
  • Kinder aus Familien mit einem Einkommen unterhalb der Armutsgrenze wurden seltener im Alter von unter 15 Monaten in Fremdbetreuung gegeben. Geschah dies doch, war die Qualität der Fremdbetreuung durch Tagespflegepersonen oder Verwandte schlechter und die Qualität der Betreuung in einer Kindertageseinrichtung gleich gut wie die von Kindern aus besseren Verhältnissen. Kinder aus Familien mit einem Einkommen knapp oberhalb der Armutsgrenze besuchten jedoch häufiger qualitativ schlechtere Tagesstätten - vermutlich weil ihre Eltern im Gegensatz zu armen Familien keine Zuschüsse zu den Betreuungskosten erhielten. Familien, die auf das Einkommen der Mutter angewiesen waren oder in denen die Mütter sehr viel verdienten, ließen ihre Kinder früher (ab dem 3. bis 5. Lebensmonat) und länger fremdbetreuen (Peth-Pierce 1998). Mit 4,5 Jahren wurden Kinder länger in Tageseinrichtungen (bzw. Tagespflege) betreut, wenn ihre Mütter alleinerziehend waren, wenn sie einen höheren Bildungsabschluss erreicht hatten oder wenn die Familien ein höheres Einkommen erzielten und weniger Kinder hatten. Eine Betreuung durch Verwandte erfolgte häufiger, wenn die Familien zu Minoritäten gehörten, wenn sie ein geringes Einkommen hatten oder wenn die Mütter schlechter gebildet waren und weniger Kinder hatten (NICHD Early Child Care Research Network 2004a).
  • Die Untersuchungen der 6, 15, 24 und 36 Monate alten Kinder ergaben, dass in den ersten drei Lebensjahren eine qualitativ bessere Fremdbetreuung in Bezug zu höheren Werten bei kognitiven und Sprachtests stand; auch erwiesen sich die Mütter der gut betreuten Kinder als sensibler und engagierter. Der Umfang (Stundenzahl) der Fremdbetreuung wirkte sich nicht auf die kognitive und sprachliche Entwicklung aus. Je mehr Stunden die Fremdbetreuung umfasste, umso häufiger wurde zum jeweils genannten Untersuchungszeitpunkt ermittelt, dass die Mütter weniger sensibel mit dem 6 bzw. 36 Monate alten Kind spielten und sich häufiger negativ gegenüber dem 15 Monate alten Kind verhielten. Ihre 24 bzw. 36 Monate alten Kinder zeigten ihnen gegenüber weniger Zuneigung. Familien- und Kindfaktoren erklärten einen größeren Teil der Varianz hinsichtlich der kognitiven und Sprachentwicklung und bezüglich der Mutter-Kind-Interaktionen als Variablen der Fremdbetreuung (National Institute of Child Health and Human Development 1987).
  • Kinder, die in den ersten drei Lebensjahren ausschließlich bei der Mutter waren, erzielten bei den kognitiven und Sprachtests im Durchschnitt ähnliche Ergebnisse wie fremdbetreute Kinder - aber bessere, wenn die Qualität der Fremdbetreuung niedrig, und schlechtere, wenn diese hoch war (Peth-Pierce 1998).
  • Die Untersuchungen nach 15, 24, 36 und 54 Monaten nach Geburt des jeweiligen Kindes ergaben, dass früher beginnende Betreuungsverhältnisse mit besseren Ergebnissen bei kognitiven und Sprachtests in Bezug standen, aber auch laut den Betreuer/innen mit mehr problematischen und weniger prosozialen Verhaltensweisen. Eine von der Stundenzahl her längere Fremdbetreuung führte zu mehr Verhaltensauffälligkeiten und Konflikten. Eine qualitativ bessere Fremdbetreuung stand zu jedem Untersuchungszeitpunkt in Bezug mit besseren Ergebnissen bei kognitiven und Sprachtests sowie zu einigen Untersuchungszeitpunkten mit einer besseren sozioemotionalen Entwicklung und einem positiveren Verhalten gegenüber Gleichaltrigen (Child-Care Effect Sizes... 2006).
  • Obwohl die (Qualität der) Fremdbetreuung hinsichtlich Art, Dauer und Stabilität die kindliche kognitiv-sprachliche und sozioemotionale Entwicklung während der ersten drei Lebensjahre beeinflusste, übten Familienfaktoren wie z.B. die mütterliche Sensibilität, die Qualität des familialen Umfeldes und das Familieneinkommen einen größeren Einfluss aus (NICHD Early Child Care Research Network 2001). Dasselbe galt für psychosoziale, sozioökonomische und soziokulturelle Risikofaktoren innerhalb der Familie; auch sie prägten die kindliche Entwicklung stärker als die Fremdbetreuung - und zwar weitgehend unabhängig von deren Qualität und Quantität. So konnte in diesen Fällen keine kompensatorische Wirkung der außerfamilialen Betreuung ermittelt werden (NICHD Early Child Care Research Network 2002).
  • Die Qualität der mütterlichen Betreuung durch die Mutter erwies sich als stärkster Prädiktor für kognitive und soziale Kompetenzen. Eine Fremdbetreuung wirkte sich in diesen Bereichen eher positiv aus, wenn die Fachkräfte höher qualifiziert waren und die Relation zwischen Erzieherin und Kindern niedrig war (Child-Care Structure... 2002).
  • Als die Kinder mit 4,5 Jahren den amerikanischen Kindergarten - eine Art Vorklasse - besuchten, wurde Folgendes ermittelt: Je mehr Zeit die Kinder zuvor in Settings der Fremdbetreuung verbracht hatten, umso mehr externalisierende Verhaltensauffälligkeiten und Konflikte mit Erwachsenen zeigten sie laut ihren Müttern, Betreuer/innen und/oder Lehrer/innen. Dieses Resultat blieb bestehen, auch wenn Art, Qualität und Stabilität der Fremdbetreuung sowie Familienfaktoren mitberücksichtigt wurden. Allerdings schienen die genannten Auswirkungen einer längeren Fremdbetreuung noch größer zu sein, wenn diese bereits in den ersten sechs Lebensmonaten des Kindes begonnen hatte (NICHD Early Child Care Research Network 2003a). Je mehr Stunden unter Dreijährige in Kindertageseinrichtungen verbracht hatten, umso schlechter waren die Resultate bei kognitiven und Sprachtests; Kleinkinder erzielten in diesem Fall hingegen bessere Ergebnisse bei den Sprachtests (NICHD Early Child Care Research Network 2004a).
  • Als die Kinder die erste Klasse besuchten, wurde ein Bezug zwischen Qualität der Fremdbetreuung sowie der Aufmerksamkeit und Gedächtnisleistung ermittelt. Der Einfluss der familialen Umwelt erwies sich aber als stärker (NICHD Early Child Care Research Network 2005a). Ferner wurden Auswirkungen der Fremdbetreuung auf die Mutter-Kind-Beziehung erfasst: Mehr Fremdbetreuung in den ersten drei Lebensjahren stand bei weißen Kindern in Bezug zu weniger Sensibilität und weniger positivem Engagement seitens der Mütter - während bei nicht weißen Kindern das entgegengesetzte Ergebnis ermittelt wurde (NICHD Early Child Care Research Network 2003b).
  • Kinder, deren Väter sensibler waren und mehr ihre Autonomie förderten, deren Eltern in einer emotional intensiven Paarbeziehung lebten und deren Mütter ihre Selbstbestimmung unterstützten, waren laut Aussage ihrer Lehrer/innen kompetenter und weniger problematisch als andere Kinder (NICHD Early Child Care Research Network 2004b). Die schulische und sozioemotionale Entwicklung von Erstklässlern verlief umso besser, je positiver die Ehebeziehung und das Erziehungsverhalten ihrer Eltern beurteilt wurden, wobei dem Erziehungsverhalten die größere Bedeutung zukam (Belsky/ Fearon 2004).
  • Am Ende der dritten Schulklasse konnten weiterhin - zum Teil neue - Beziehungen zwischen frühkindlicher Fremdbetreuung und kindlicher Entwicklung ermittelt werden: Eine längere Fremdbetreuung stand in Bezug mit einem besseren Gedächtnis, aber auch mit eher konflikthaften Beziehungen zu den Lehrer/innen und zu der Mutter. Eine mehr Stunden umfassende Betreuung korrelierte mit weniger sozialen Fertigkeiten und einer schlechteren Arbeitshaltung. Jedoch nahm die Korrelation zwischen Umfang der Fremdbetreuung und externalisierenden Verhaltensauffälligkeiten ab und war am Ende der dritten Klasse nicht mehr signifikant. Weiterhin bestanden Beziehungen zwischen einer höheren Qualität der Fremdbetreuung und besseren Schulleistungen in Lesen und Mathematik (NICHD Early Child Care Research Network 2005b).
  • Auch in der 6. Klasse - als die Kinder 12 Jahre alt waren - konnten noch positive Auswirkungen einer qualitativ guten Fremdbetreuung auf die Sprachentwicklung ermittelt werden. Je länger die Betreuung war, umso häufiger berichteten die Lehrer/innen aber von externalisierenden Verhaltensauffälligkeiten. Sekundäranalysen ergaben, dass vor allem Kinder betroffen waren, die in ihren ersten Lebensjahren in Kindertageseinrichtungen betreut wurden - nicht aber Kinder, die sich damals in Familientagespflege befanden oder von Verwandten versorgt wurden. Die Familienerziehung wirkte sich weiterhin intensiver auf die kindliche Entwicklung aus als die Fremdbetreuung (Belsky et al. 2007).

Bei all diesen Forschungsergebnissen ist zu beachten, dass die Korrelationen zwischen Kindertagesbetreuung und Aspekten der kindlichen Entwicklung relativ schwach (bis moderat) ausgeprägt waren. Beispielsweise erklärten Fremdbetreuungsvariablen in den ersten drei Lebensjahren nur zwischen 1,3 und 3,6% der Varianz bei der kognitiven und Sprachentwicklung (National Institute of Child Health and Human Development 1987). So handelt es sich auch bei dem durchgängigen Resultat, dass früher bzw. länger fremdbetreute Kinder häufiger verhaltensauffällig sind, um einen graduellen Unterschied, nicht aber um einen klinischen Befund.

Die NICHD-Studie im Kontext

Die im Verlauf der NICHD-Studie gewonnenen Forschungsergebnisse sind nicht neu. Beispielsweise wurden in anderen amerikanischen Untersuchungen positive Effekte einer Fremdbetreuung auf die kognitive und sprachliche Entwicklung von Kindern und auf deren Schulleistungen ermittelt, die aber oft nach der 2. Schulklasse abnahmen bzw. ganz verschwanden (z.B. Broberg et al. 1997; Burchinal et al. 2000; Peisner-Feinberg et al. 2001). Weitere Studien ergaben, dass insbesondere Kinder, die sehr früh in ihrem Leben und/oder für viele Stunden fremdbetreut wurden, in ihrer sozialen Entwicklung beeinträchtigt wurden und mehr Verhaltensauffälligkeiten zeigten (z.B. Bates et al. 1994; Belsky 2001; Haskins 1985; Vandell/ Corasaniti 1990); dies galt aber weniger für Kinder, die eine qualitativ hochwertige Fremdbetreuung erhielten (z.B. Howes 1988; Peisner-Feinberg/ Burchinal 1997; Vandell/ Henderson/ Wilson 1988). Wie bei der NICHD-Studie waren die in all diesen Untersuchungen ermittelten Korrelationen eher schwach ausgeprägt.

Dass die Familie die Entwicklung und die Schulleistungen eines Kindes stärker prägt als (eine ganztägige) Kindertagesbetreuung bzw. als die Schule wurde ebenfalls durch amerikanische Untersuchungen nachgewiesen (z.B. Fraser et al. 1987; Marjoribanks 2005; Peisner-Feinberg et al. 2001). Vor allem sozial benachteiligte bzw. in ihrer Familie kaum geförderte Kinder profitierten von einer (guten) Kindertagesbetreuung (z.B. Campbell et al. 2001; Schweinhart/ Weikart/ Larner 1986; U.S. Department of Health and Human Services 2005).

Inwieweit die Ergebnisse der NICHD-Studie und ähnlicher Untersuchungen auf die deutschen Verhältnisse übertragen werden kann, bleibt offen. So sind die Kinderbetreuungssysteme recht unterschiedlich: In den USA sind beispielsweise Jahrgangsgruppen die Regel, haben viele Fachkräfte einen College-Abschluss und werden eher kognitiv orientierte pädagogische Ansätze vertreten, während in Deutschland altersgemischte Gruppen vorherrschen, die Fachkräfte "nur" an Fachschulen ausgebildet werden und eher an der Sozialentwicklung (gemeinsames Spiel) ausgerichtete Ansätze befolgt werden.

Deutlich wird hier das große Forschungsdefizit in der Bundesrepublik: In den letzten zwei Jahrzehnten wurden keine wissenschaftlichen (Längsschnitt-) Untersuchungen über unter Dreijährige durchgeführt, die entweder in der Familie, in einer Kinderkrippe, in Familientagespflege oder in einer weit altersgemischten Gruppe (also zusammen mit Drei- bis Sechsjährigen) aufwuchsen. Da derzeit die Betreuungsangebote für unter Dreijährige - zumindest in den alten Bundesländern - stark ausgebaut werden sollen, müssten m.E. dringend Untersuchungen über die Konsequenzen einer sehr frühen Fremdbetreuung durchgeführt werden, wobei auch die Betreuungsdauer zu berücksichtigen wäre. Auf jeden Fall sollte von Anfang an eine hohe Qualität der Angebote sichergestellt werden (s.u.).

Auch Untersuchungen über die Entwicklung von Kindergartenkindern fehlen in Deutschland weitgehend. Die einzige deutsche Längsschnittstudie, die sich auf 422 Kinder aus 103 Kindergartengruppen in fünf Bundesländern bezog (Tietze 1998; Tietze/ Roßbach/ Grenner 2005), ergab u.a., dass die pädagogische Qualität im Durchschnitt mittelmäßig war und zwischen den einzelnen Kindergärten stark variierte: Die Entwicklungsunterschiede bei Kindern, die auf die Qualität zurückgeführt werden konnten, entsprachen im Extremfall einem Altersunterschied von einem Jahr. Dementsprechend wurde wie bei den amerikanischen Untersuchungen ermittelt, dass positive Auswirkungen einer qualitativ guten Fremdbetreuung und negative Auswirkungen einer qualitativ schlechten Fremdbetreuung auf die sprachliche und soziale Entwicklung der Kinder - auch noch im Alter von 8,5 Jahren - sowie auf deren Schulleistungen bestanden. Ferner wurde wie bei der NICHD-Studie festgestellt, dass die Qualität des Familiensettings ein Mehrfaches an Entwicklungsvarianz in der Vorschulphase bzw. in der Grundschule erklärte als die des Kindergartensettings.

Zur Qualität der Kindertagesbetreuung

Aus den bereits genannten Untersuchungen und weiteren wissenschaftlichen Veröffentlichungen (z.B. Farquhar 1991; Fthenakis/ Textor 1998; Katz 1992; Layzer/ Goodson/ Moss 1993; Podmore 1994; Textor 2007) lassen sich u.a. folgende Faktoren ableiten, die zu einer höheren Qualität der Kindertagesbetreuung beitragen:

  • allseitige Stimulierung der Kinder durch ein interessantes und abwechslungsreiches Programm, das alle Bildungsbereiche - aber auch die Wünsche der Kinder - berücksichtigt und positive Beziehungen zu den anderen Kindern ermöglicht; kognitiv anspruchsvolle Interaktionen, insbesondere zwischen Fachkräften und (einzelnen) Kindern;
  • ein angemessenes Verhältnis zwischen Freispiel und Beschäftigung, zwischen Innen- und Außenaktivitäten, zwischen fachkraft- und kindinitiierten Aktivitäten;
  • ein dem Entwicklungsstand eines jeden Kindes entsprechendes Verhalten der Fachkräfte (Individualisierung), Sensibilität für die Bedürfnisse und Interessen der Kinder; Responsivität; Zeigen von Zuneigung und emotionaler Wärme; Ermutigung der Kinder;
  • sichere Bindungen des Kindes an mindestens eine Fachkraft;
  • eine gute Atmosphäre; Wohlbefinden, Zufriedenheit und Engagement der Kinder; Gefühl der Zugehörigkeit, Sicherheit und Geborgenheit; Eindruck, von den Fachkräften und den anderen Kindern respektiert und akzeptiert zu werden;
  • regelmäßige Beobachtung der Kinder; Dokumentation ihrer Entwicklung;
  • genügend Vorbereitungs- und Nachbereitungszeit für bildende Angebote; ausreichend Zeit für Einzelbeobachtungen, Elternarbeit, Teamsitzungen, Kontakte zu psychosozialen Diensten usw.;
  • kleine Gruppen, ein niedriger Fachkraft-Kind-Schlüssel, wenig Personalwechsel;
  • eine gute Ausstattung der Innen- und Außenräume mit Geräten und Materialien; viel Platz (Bewegungsraum) für die Kinder;
  • Sauberkeit, Hygiene, Unfallverhütung (z.B. ungefährliche Geräte und Spielsachen);
  • eine höhere Ausbildung der Fachkräfte (College-Abschluss), viel Berufserfahrung, häufige Fortbildungen, fachliche und persönliche Kompetenz;
  • eine engagierte, fachlich qualifizierte Leitung der Kindertageseinrichtung, die auf Professionalität und gute Arbeitsbedingungen achtet, gemeinsam mit den Kolleg/innen die pädagogische Konzeption (weiter-) entwickelt und mit ihnen das Bildungsprogramm plant;
  • ein gutes Team: gegenseitige Akzeptanz, Respekt, Vertrauen, Kooperation, wechselseitige Unterstützung;
  • Maßnahmen zur Qualitätssicherung;
  • Einbeziehung der Eltern als Partner: häufiger Austausch über das Kind, seine Entwicklung und seine Erziehung; Information der Eltern über die Konzeption der Einrichtung und die pädagogische Arbeit; elternbildende Angebote; Ermöglichung von Elternengagement und -mitbestimmung in der Kindertagesstätte.

Unter Wissenschaftler/innen besteht international Einigkeit, dass nur dann eine positive Entwicklung von Kindern in Tageseinrichtungen sicher gestellt ist, wenn diese Faktoren gegeben sind.

Schlusswort

Die NICHD-Studie verdeutlicht - wie vergleichbare wissenschaftliche Untersuchungen - zum einen den Zusammenhang zwischen der (Qualität von) Fremdbetreuung und der kindlichen Entwicklung sowie zum anderen die große Bedeutung von Familienfaktoren (z.B. Qualität der Familienerziehung und der Ehebeziehung). Deshalb sollte seitens der (Kommunal-, Familien-, Bildungs-) Politik nicht nur in die qualitative Verbesserung der Betreuungsangebote, sondern auch in die Ausweitung und Intensivierung der Ehe- und Familienbildung investiert werden (vgl. NICHD Early Child Care Research Network 2003c; Belsky et al. 2007). Belsky (2002) plädiert auch für einen langfristigen, bezahlten Erziehungsurlaub und für eine Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung, sodass unter Dreijährige und Kleinkinder erst relativ spät und dann nur für wenige Stunden am Tag fremdbetreut werden müssten. Ferner sollte das Steuerrecht Familien begünstigen, die kleine Kinder weitgehend in der Familie erziehen.

Anmerkungen

(1) NICHD = National Institute of Child Health and Human Development.

(2) Bei der letzten Untersuchung - als die Kinder 12 Jahre alt waren - lagen nur für 293 Kinder vollständige Daten, Testresultate, Ergebnisse von Befragungen usw. vor.

(3) Der Überblick wurde weitgehend anhand von Abstracts erstellt. Er kann Erzieher/innen und anderen Interessierten somit zur ersten Orientierung dienen.

Literatur

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Autor

Dr. Martin R. Textor studierte Pädagogik, Beratung und Sozialarbeit an den Universitäten Würzburg, Albany, N.Y., und Kapstadt. Er arbeitete 20 Jahre lang als wissenschaftlicher Angestellter am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München. Von 2006 bis 2018 leitete er zusammen mit seiner Frau das Institut für Pädagogik und Zukunftsforschung (IPZF) in Würzburg. Er ist Autor bzw. Herausgeber von 45 Büchern und hat 770 Fachartikel in Zeitschriften und im Internet veröffentlicht.
Homepage: https://www.ipzf.de
Autobiographie unter http://www.martin-textor.de